Das letzte Mal
von Mathilda Rothmann
Das erste letzte Mal das wir uns sahen,
da saßen wir am Straßenrand.
Es war ein gelber Sommertag – die Sonne
brannte rot auf uns herab
auf uns beide.
Heißer Staub wehte uns in die Augen,
Wellen der Hitze brachten den harten Asphalt
der Straße zum schimmern
und funkeln.
Deine Haare wehten nicht im Wind,
die Luft stand still und trotzdem
hast du dir ständig durch die Haare gestrichen.
Ich hab irgendwas gesagt und du
hast dich zu mir umgedreht.
Zum Ersten mal hab ich gesehen
das deine Augen wie Bernsteinsonnen in
dem Kosmos deiner Sommersterne
goldfleckig glimmern,
das der Asphalt vor Neid vergeht.
Dein Gesicht kam dem meinen immer näher
und als ich mich in deinen strahlenden Augen spiegelte
schoss ich aufrecht.
Du wolltest mir gerade verwirrt folgen,
da machte ich einen Satz zurück und
sagte mit einer Gewalt die die Welt nie zuvor sah:
„Ich will dich nie wieder sehen!“
Verwirrung war dein letzter Gesichtsausdruck.
Du riefst mir nicht nach.
Ich drehte mich nicht um.
Ich ging nach Hause
und du auch.
Ich heulte nicht
aber du.
Das zweite letzte Mal das wir uns sahen,
da saßen wir am Straßenrand.
Es war ein grüner Herbstabend – die Lichter
der Houseparty schienen dimm türkis
auf uns herab.
Leichter Nieselregen durchweichte unsre Kleider,
und in den Pfützen des Vortages
spiegelte sich das Petrol der Weinflasche.
Ich hatte dir geholfen deine Haare zu färben,
sie waren jetzt fleckig und blau und
fürchterlich, laut deiner Mutter.
Du hast verträumt in die Landschaft gestarrt,
und irgendwas erzählt.
Zum hundertsten mal hab ich dir gesagt
das du mehr Wasser trinken musst,
umringt von tiefen, dunklen Abgründen
sind deine Augen wie schwarze Löcher
die dich in ihrer Leere ersticken.
Du hast deine Hand auf meinen Oberschenkel gelegt,
und das Glitter in deinem bröckeligen Nagellack
erinnerte mich an eine bessere Zeit.
Ich nahm deine nasse, kalte Hand,
legte sie zurück in deinen Schoß
und mit Worten scharf wie Gift, gab ich zu:
„Ich habe dich noch nie geliebt.“
Du sahst mich nicht an als du aufgestanden bist,
und ich sah dir nicht nach.
Du hast deine Flasche stehen gelassen
und gingst wieder zu Party
Ich fuhr nach Hause.
Ich heulte nicht,
aber du.
Das dritte letzte Mal das wir uns sahen,
da saßen wir am Straßenrand.
Es war eine tiefblaue Winternacht – nur das Glimmen
unserer Zigaretten warf ein fahles Licht auch uns.
Uns beide.
Schneeflocken wie weißer weicher
Daunenwolkenschredder
schwebten um unsere Körper und
hingen in dem Fellkragen deiner Jacke.
Deine Haare waren fettig und nass
und braun – wieder, zwischen den Strähnen
waren kahle Flecken.
Du hattest mir erzählt das es schlimm mit ihm ist,
nicht wie schlimm genau.
Du drehtest dich zu mir um zeigtest es mir,
das große, schwarze, geschwollene Veilchen
das deine ausgebrannten Himmelskörper
wie schwere Gewitterwolken
in mattem Elend verhüllte.
Ich habe dir aufgeholfen – dich,
deine Katze und deine drei Taschen
zu deinen Eltern nach Hause gefahren.
Deine eine Hand lag auf der Klinke der Autotür, deine andere
griff nach meiner und für nur einen Moment hieltst du inne –
und dann sagtest du mit leiser Stimme:
„Es wäre wirklich schön gewesen.“
Ich antwortete nicht während ich ausstieg
und du bliebst genau so still.
Ich trug dir deine Taschen zur Tür
was du mir nachriefst
hörte ich nicht.
Ich heulte nicht,
aber du.
Das wirklich letzte Mal das wir uns sahen,
da saß ich allein am Straßenrand.
Es war ein frischer rosa Frühlingsmorgen – das Strahlen
der aufgehenden Sonne setzte der Welt
in eine verträumte rote Brille auf.
Der Wind ging sanft durch die Bäume und
trug ihre Blüten wie ein zarter, bunter
Regen aus Konfetti, der die kalte raue Straße
künstlerisch besprenkelte.
Es war das erste mal das ich dich mit Locken sah, jedoch
zusammen mit dem neuen Rotton,
sahst du zum ersten mal wieder aus wie du.
Er hatte dich zum lachen gebracht, doch aus der Ferne
konnte ich nicht verstehen womit genau.
Als ihr euch nähertet sah ich zum ersten Mal
das deine Augen wie goldene Sonnen
die von langer kalter Nacht verdeckt
doch jetzt erneut, in alter Stärke
auf die Welt herunter strahlten.
Du hast mir die Hand gegeben
und ihn mir vorgestellt.
Ihr habt mir erzählt wie ihr euch kennen lerntet
von Urlaub und von deiner Schwangerschaft.
Du sahst noch nie so glücklich aus wie an diesem Tag
und mit ernster Stimme sagtest du:
„Ich will dich nie wieder sehen!“
Dein Lächeln war das letzte was ich sah.
Ich rief dir nicht nach.
Du drehtest dich nicht um.
Ich ging nach Hause
und du auch.
Ich heulte nicht
und du auch nicht.